Am 7. März 2024 fand im Haus am Turm in Ratingen eine Veranstaltung der Ratinger Gruppe von Amnesty International zum Thema „Seenotrettung“ statt. Als Referent war Martin Kolek eingeladen, um über seine Erfahrungen als Seenotretter zu berichten. Kolek trug Kurzgeschichten aus seinem neuen Buch „Kein Land – Meehr“ vor, in dem er von seinen Erlebnissen berichtet und ergänzte seine Eindrücke durch Bilder, Musik und Videos.
Sascha Samadi, der Sprecher der Ratinger Gruppe, eröffnete den Abend und erläuterte, inwieweit Seenotrettung und das Thema Asyl mit dem Thema Menschenrechte verbunden sind. Dann übernahm Martin Kolek. Kolek ist Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut sowie Musiktherapeut und hat seine Praxis in Paderborn. Er befasst sich seit 2016 vertieft mit dem Thema Flucht und war in den vergangenen Jahren als Seenotretter mehrfach besonders im zentralen Mittelmeer aktiv. Bis 2018 mit der Organisation Sea-Watch, seit 2018 im Verein RESQSHIP und auf dessen Segelschiff NADIR.
Seine Berichte startete Kolek eher „seicht“: so ging es zunächst um Seekrankheit und die Toiletten an Bord. Er konnte die Zuhörenden somit langsam in das Leben auf einem Segelboot mit einer siebenköpfigen Besatzung einstimmen.
„Zurück darf kein Seemann schauen“
Dann berichtete er von einer Beinahe-Kollision, die wohl teils auch der – bis dahin nicht bekannten – Farbenblindheit eines Mit-Seemanns zu verdanken war. In diesem Zusammenhang erzählte er auch von den „Notfunkbaken“, die fast jedes Schiff an Bord hat und die bei Kontakt mit Wasser automatisch ein Signal an die Rettungsleitstelle abgeben, welche dann eine Rettungsaktion anstößt. „Fast jedes“ Schiff hat eine solche Notfunkbake, nur natürlich die Schlauch- und Stahlboote nicht, mit denen sich Flüchtende aufs Meer begeben.
Neben Erzählungen von Drangsalierungen, die die Crew in vielen Häfen über sich ergehen lassen musste und wie er von einem fliegenden Fisch getroffen wurde – einfach, weil er dieser Kreatur im Weg stand, berichtete Kolek natürlich auch von Rettungseinsätzen, zu denen ihr Schiff auch von der italienischen Küstenwache gerufen wurde. Von Leichen, die sie aus dem Wasser zogen aber eben auch von Menschenleben, die sie retten konnten. Er sprach über Fluchtgründe, die Aufgaben der Seenotretter, über Schlepperbanden und auch über positive Projekte z. B. einen von einer Privatperson angelegten Friedhof und das Mahnmal der Vergessenen in Armo (Reggio Calabria, Süditalien). Aus Sicht der Flüchtlinge heißt es jedoch leider weiter: „Kein Land bietet uns ein Zuhause.“ Gesetze und Regeln täuschen Sicherheit vor, die Menschlichkeit bleibt meist auf der Strecke.
„Seeleute sind nicht nachtragend – aber sie tragen viel mit sich“
Es waren eindrückliche, berührende und bewegende Berichte, mit denen er seine Zuhörenden fesselte. Die Bilder und Videos, die er dazu zeigte, ließen das Publikum teilhaben und teilweise tief erschaudern. So musste Kolek einmal zwischendurch fragen: „Sie sind so still, soll ich weiterlesen?“
Die an die Lesung und Präsentation anschließende Diskussion kam dann nur langsam in Fahrt, so sehr steckte das Gehörte und Gesehene Vielen noch in den Knochen. Als Kolek gefragt wurde, ob er nach all den – oft auch sehr traurigen – Momenten auf See nicht Kraft und Mut verloren habe, antwortete er – in Kurzform wiedergegeben – „Jederzeit wieder“.
An Ratingen stellte er die Frage: „Gibt es hier einen Ort, an dem man an Vergessene denken kann?“
Zurzeit reist Martin Kolek mit seiner Vortragsreihe durch Europa. Er möchte im kommenden Jahr wieder aktiv Einsätze auf Rettungsschiffen begleiten. Dazu wünscht ihm die Ratinger Gruppe von Amnesty International viel Kraft, Energie und Zuversicht.